„Und als ihm klar wurde, dass ihn nichts mehr retten würde, dass es keine Möglichkeit mehr gab seinen Fall aufzuhalten, schrie er. Und in seinem Schrei lag all seine Verzweiflung, sein Entsetzen, seine Angst und die Trauer. Der Schrei, von den Wänden des Tales in einem verhöhnenden Echo widerhallend, war das letzte, was sie von ihm hörten.“
Kapitel 1
Das Tal
In einer Zeit, in der es noch die weißen Flecken der Landkarten zu füllen galt, gab es fünf Reiter, die auszogen, diese unbekannten Gebiete zu erkunden. Weniger um der Vollständigkeit der Karten halber (denn von Kartographie verstanden sie nicht viel) und ebenso wenig von Forscher- oder Entdeckergeist getrieben, als vielmehr auf Geheiß eines wichtigen Herren, der sehen wollte, ob es sich lohnen würde, in die fremden Lande vorzudringen und deren Besitz zu ergreifen. Man konnte also von einer Expedition sprechen, wollte man der Sache einen Namen geben. Es war eine Reise ins Ungewisse. Doch sollten sie erfolgreich zurückkehren, winkten Ruhm und Reichtum – und wahrscheinlich hätte man sie auch in Ketten gelegt, hätten sie sich der Anordnung verweigert – die Machtverteilung in jener Zeit war noch etwas einseitig.
Mehrere Tage waren die Männer bereits unterwegs, und es waren ereignisarme Tage gewesen. Sie folgten einem Fluss, der sich seinen Weg durch die immer karger und steiniger werdende Landschaft bahnte und auf ein Gebirge zusteuerte, welches sich am Horizont entlang zog. Weit und breit war nichts Nennenswertes zu sehen, keine Bäume, keine Siedlungen, im Grunde kaum ein Anzeichen von Leben. Eine eigenartige Stille umgab sie, von der sie nicht recht wussten, ob sie diese beruhigend oder beängstigend finden sollten. Zwei weitere Tage vergingen, bis sie schließlich bei Einbruch der Dämmerung an den Fuß des Gebirges und das Tal gelangten, welches der Fluss geschaffen hatte.
Die Wolken am Himmel begannen sich drohend zuzuziehen und der Wind wurde rauer. In der Hoffnung, einen vor dem sich ankündigenden Unwetter Schutz bietenden Unterschlupf zu finden, und so die Nacht halbwegs trocken zu überstehen, beschlossen sie, einem Pfad zu folgen, der oberhalb des Flusslaufes entlang der Felswand verlief. Sie kamen anfangs noch gut voran, der Weg war breit und man konnte jeden Moment meinen, hinter dem nächsten Felsen müsse irgendeine Höhle oder etwas in der Art zu erblicken sein. Das Gelände wurde jedoch ungängiger und die Pferde hatten Mühe voranzukommen. Beinahe eine Stunde waren sie in das Tal hineingeritten und noch immer hatten sie keinen geeigneten Rastplatz gefunden. Immer höher gelangten sie, der Fluss lag bereits weit unter ihnen, der Weg wurde schmaler und die Wände steiler. Das Tal bekam einen schluchtartigen Charakter. Der Himmel hatte sich weiter verdunkelt, was nicht nur der hereinbrechenden Nacht geschuldet war. Bei einem Gewitter wollten sie ungerne ungeschützt im Freien nächtigen, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ, und ein Gewitter schien kurz bevor zu stehen. Auch die Pferde schienen dies zu ahnen, und wurden nervöser, waren doch einige von ihnen noch recht jung und bei einem Unwetter sonst meist in einem Stall gewesen.
Vor allem eines der Pferde, es trug den jüngsten der Reiter, schien besonders ängstlich zu sein. Und als ein Blitz, fast unmittelbar vom Donner gefolgt, blendend grell über den Himmel zuckte, bäumte es sich auf. Der Reiter verlor den Halt, kippte nach hinten, versuchte noch nach irgendetwas zu greifen, dem Schweif des Pferdes vielleicht oder einem der spärlich wachsenden Büsche, doch er bekam nichts zu fassen. Und als im klar wurde, das ihn nichts mehr retten würde, dass es keine Möglichkeit mehr gab seinen Fall aufzuhalten, trat Panik in sein Gesicht. Die Augen einem Wahnsinnigen gleich aufgerissen, schrie er, und in seinem Schrei lag all seine Verzweiflung, sein Entsetzen, seine Angst und die Trauer; Gefühle, die ihn im Bruchteil von Sekunden erfassten während er in den düsteren Abgrund hinabstürzte. Der Schrei, von den Wänden des Tales in einem verhöhnenden Echo wiederhallend, war das letzte was sie von ihm hörten. Und so verlor der erste der fünf Reiter sein Leben.