Metamorphus

Kapitel 2

Die Raben

Es schien, als hätten Riesen ein Grabensystem errichtet, dessen Sinn auf den ersten Blick nicht ganz einleuchtete. Tief und geradlinig verlaufend durchzog es den lehmigen Boden, und ob es ein Phänomen der Natur oder tatsächlich geplant war, war schwer auszumachen.

Die verbliebenen Reiter hatten das Tal und die Trauer um das verlorene Expeditionsmitglied seit einigen Tagen hinter sich gelassen. Besonders gut hatten sie ihn ohnehin nicht gekannt, dachten sie sich, und Gefahren waren auf der Reise zu erwarten gewesen. Dass bereits so früh einer von Ihnen durch einen - man konnte es nicht anders nennen - unglücklichen Unfall ums Leben gekommen war, hatte sie allerdings doch ein wenig bestürzt gemacht, und sie ermahnten sich, fortan vorsichtiger zu sein.

Gegen Mittag ritten sie auf eine Gruppe kahler Bäume zu. Wie eine kleine Herde wirkten die, eng aneinandergedrängt, um sich vor der leeren Weite um sie herum zu schützen. Obgleich sie abgestorben waren, schienen sie subtil unruhig in Bewegung zu sein. Irgendetwas stimmte nicht.

Ein unangenehm süßlicher Geruch stieg den Reitern in die Nase, der deutlich auf Verwesung hindeutete. Als sie in die Gräben zu beiden Seiten blickten, konnten sie vereinzelte Knochen erkennen, die sich mehrten, je weiter sie auf die Bäume zuritten und schließlich erkennbar als Skelette dort lagen, scheinbar von kleineren bis mittelgroßen Tieren. Immer stärker wurde der Geruch, immer mehr Kadaver lagen in den Gräben, und als sie nahe genug an die Baumgruppe herangekommen waren, erkannten sie, dass es Raben waren, die auf den Ästen hockten und den Bäumen Bewegung zu verleihen schienen. Als die Raben die Reiter erkannten, wurden sie plötzlich ganz still, und auch die Reiter hielten ihre Pferde an. Unzählige Augenpaare waren auf Sie gerichtet, die sie mit bösen Blicken durchbohrten. Eine Weile standen sie wartend da, unsicher, ob sie die Baumgruppe und die Raben passieren konnten. Schließlich, ohne dass sich die anderen jemals erklären konnten warum, stieg einer der Reiter von seinem Pferd herab und ging langsam auf die Raben zu. Während er sich näherte, flatterte einer der Vögel vom Baum herab. Den Blick weiterhin auf den Reiter gerichtet blieb er zunächst stehen, ging ihm dann jedoch langsam entgegen. Ein zweiter folgte scheinbar zögerlich, dann ein dritter, immer mehr, und nun begannen sie wütend zu krächzen und die vordersten versuchten, nach den Füßen des Reiters zu picken. Immer lauter krächzten die Raben, immer aggressiver wurden sie und nun begannen sie, ihn von mehreren Seiten zu bedrängen. Der Reiter wurde zunehmend nervös und versuchte sie, zunächst mit den Armen fuchtelnd, zu verscheuchen, wodurch sich die Vögel jedoch nicht im Mindesten beeindrucken ließen, ja sie schienen ihn mit ihrem stakkatoartigen Krächzgesang geradezu auszulachen. Fast schon panisch versuchte der Reiter nach ihnen zu treten, doch sie wichen ihm geschickt aus, sodass er jedes Mal ins Leere stampfte.

Ohne dass er bemerkte, was geschah, begannen die Raben den Reiter zurück zu drängen und dabei in eine ganz bestimmte Richtung zu lenken - nämlich auf den Graben zu. Als die anderen Reiter das bemerkten, riefen sie ihm wild zu und gaben ihren Pferden die Sporen um sie auf die Raben zuzujagen, doch ihre Rufe gingen im Gelärme der Vögel unter, und noch ehe sie ihn erreichen konnten stolperte er, bereits weit zurück gedrängt, über einen Stein und fiel in den Graben.

Die Raben stoben auf, als die galoppierenden Pferde ihnen nahe kamen, doch ihr Ziel hatten sie erreicht. In einer dunklen Wolke erhoben sie sich, und stürzten dann auf den im Graben liegenden Reiter hinab, und seine Schreie, während sie auf ihn eihackten und ganze Stücke aus ihm herausrissen, übertönte selbst ihr Gekrächze. Und so verlor der zweite der Reiter sein Leben.