Metamorphus

Kapitel 3

Die Schnecken

Es regnete. Weit und breit war kein Unterschlupf zu finden gewesen, und so ritten die Reiter, jetzt nur noch zu dritt, durchnässt und frierend weiter. Gegen Mittag hatte sich ihre Laune aber dennoch ein wenig gebessert, denn zum ersten Mal seit dem Aufbruch zur Expedition waren sie auf einen Pfad gestoßen. Einen ausgetretenen Pfad, den offenbar Menschen vor ihnen betreten hatten. Auch die Vegetation um sie herum mehrte sich, Gras wuchs spärlich, und hier und da stieß Spitzwegerich aus dem Boden. Alles in allem, so dachten die Reiter, sah diese Gegend vielversprechender aus als alles Bisherige.

Irgendwann wurde der Pfad zu einem von Hecken gesäumten Weg. Hecken, die immer dichter und immer höher wuchsen, je weiter sie ritten. Fast schon entzückt betrachteten sie kleine Schnecken, die ab und an unter den Hecken hervor auf den Weg gekrochen kamen. Sie waren die ersten Anzeichen von Leben, die sie seit langem gesehen hatten – von den Raben vielleicht abgesehen, aber an die wollten sie lieber nicht denken.

So wie die Hecken dichter und höher wuchsen, so mehrten sich auch die Schnecken, die den Weg kreuzten. Nicht nur in der Anzahl, sondern auch in ihrer Vielfalt. Nacktschnecken kamen hinzu, zunächst tiefschwarze, dann dunkelrote, Schnecken mit schlichten, grauen Häuschen, Schnecken mit gelb-schwarz-gestreiften. Hin und wieder knirschte es, wenn die Pferde auf eine von ihnen traten. Auch einige größere Exemplare gesellten sich dazu. Voller Erstaunen und zugleich mit einer Spur von Ekel deutete einer der Reiter schließlich auf eine nahezu faustgroße Schnecke, die eine breite, glänzende Schleimspur hinter sich ließ.

Als sie einige Meter weiter um eine Ecke bogen, erblickten sei eine weitere Schleimspur die quer über den Weg ging und von so enormer Breite war, dass sie es kaum wagten, sich die zugehörige Schnecke vorzustellen. Das Tier hatte eine Schneise durch die Hecken zu beiden Seiten gewalzt, durch die sie problemlos hätten hindurchreiten können. Die Neugierde des vordersten Reiter war geweckt, und obgleich er sich ein wenig fürchtete, wollte er doch gerne einen Blick auf die Riesenschnecke erhaschen. Die anderen beiden zögerten – ihnen war die Sache nicht geheuer.

Langsam lies der Reiter sein Pferd durch die Lücke in der Hecke hindurchtraben, und was er auf der anderen Seite erblickte war so unglaublich und beängstigend zu gleich, dass er einige Zeit lang nur dastehen und voller Bewunderung und Furcht auf die Szenerie blicken konnte, die so bizarr war, das er sich vergewissern musste nicht zu träumen. Hunderte von Schnecken, von der Größe kleiner Elefanten, zogen als Herde über ein Feld, alles Pflanzliche, das sie erwischen konnten, vernichtend. Der Boden, voller Schleim, glitzerte im Licht der Sonne wie ein ruhiger Ozean und ließ die Schnecken wie gemächlich dahingleitende Segelschiffe wirken. Noch eine ganze Weile stand er so da, dann hörte er hinter sich ein Malmen, und eine weitere Schnecke brach durch die Hecke. Er fuhr herum und als er die Schnecke so unmittelbar vor ihm sah war er vor Schreck wie gelähmt und er konnte nichts tun, schaffte es nicht, sich zu ducken um dem Stielauge auszuweichen das in seine Richtung schwang und ihn vom Pferd schlug. Unsanft landete er auf dem Boden und rollte einige Meter einen kleinen Abhang hinunter. Dann blieb er liegen, von klebrigem, Zentimeter hohem Schleim umgeben. Angewidert versuchte er sich aufzurichten, doch der Schneckenschleim war so klebrig und zäh, dass er ihn am Boden festhielt, während er die monströse Schnecke auf ihn zukriechen sah.

Immer näher kam das Ungetier auf ihn zu und Panik kam in ihm auf, eine Panik, die auch die beiden Reiter gespürt haben mussten, die im Tal und durch die Raben ihr Leben verloren hatten, das wurde ihm jetzt klar. Er wusste, das auch er in wenigen Augenblicken sterben würde. Unaufhaltsam glitt die Schnecke auf ihn zu und über ihn hinweg, und während sie über ihn hinweg glitt, raspelte sie ihn ganz und gar auf. Und so verlor auch der dritte Reiter sein Leben.